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Warum brauchen gerade Lehrpersonen Individualfeedback?

IF ist grundsätzlich für Personen, deren berufliches Handeln von Kommunikationssituationen geprägt ist, äußerst interessant und wertvoll:

Man erfährt, wie das eigene Handeln von anderen erlebt wird und kann so die Selbstwahrnehmung um die Fremdwahrnehmung erweitern. Der sog. „Blinde Fleck“ wird beleuchtet, nämlich derjenige Bereich, der anderen bekannt, aber einem selbst unbekannt ist; dies veranschaulicht das sog. Johari-Fenster (vgl. Luft & Ingham, 1955).

Der Fremdwahrnehmung bzw. Außenperspektive kommt besondere Bedeutung zu beim intentionalen Handeln, bei dem in einer Kommunikationssituation eine bestimmte Wirkung auf das Gegenüber erzielt werden soll.

Ist die beabsichtigte Wirkung eingetreten? Habe ich meine Ziele erreicht? Sind unbeabsichtigte Nebeneffekte aufgetreten? Soll ich in vergleichbaren Situationen wieder so handeln oder soll ich eine erfolgversprechendere Handlungsoption wählen?

Aufschluss über derartige Fragen mithilfe von IF ist aus mehreren Gründen gerade für Lehrpersonen besonders wichtig und auch nahe liegend.

Die folgenden Argumente begründen die Wichtigkeit, ja Notwendigkeit des IF für Lehrpersonen zum Unterricht in Form von Schülerfeedback oder kollegialer Hospitation. Aber auch für Lehrkräfte in der Rolle als Führungskraft ist Individualfeedback von hoher Bedeutung, wenn es um ihre außerunterrichtlichen Tätigkeit geht.

Das Handeln einer Lehrperson hat eine sehr weitreichende Wirkung; an einem einzigen Schultag unterrichtet eine Lehrkraft an weiterführenden Schulen häufig mehr als hundert Schülerinnen und Schüler. Allein schon diese zahlenmäßige Tragweite des Handelns legt eine möglichst gute Kenntnis und eine Optimierung dieses Wirkens nahe.

Lehrende und Lernende verbindet grundsätzlich ein gemeinsames Ziel, nämlich der größtmögliche Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler. Aufgrund dieser gemeinsamen Zielsetzung bietet es sich für die Beteiligten in höchstem Maß an, durch das Einholen bzw. Geben von Rückmeldungen die Lernwirksamkeit von Unterricht und damit vor allem die Wirksamkeit des Lehrerhandelns zu erhöhen.

Den Nutzen und die Notwendigkeit von Feedback für die Lernprozesse an Schulen hat die Hattie-Studie eindrucksvoll bestätigt:[1] Das Einbeziehen der Schülerperspektive in die Planung und Gestaltung von Unterricht und die wechselseitigen Rückmeldungen zwischen Lehrenden und Lernenden tragen erheblich zum Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler bei. Auch die von Hattie betonte zentrale Rolle der Lehrperson in ihrer den Unterricht steuernden Funktion begründet die Bedeutung des IF für Lehrkräfte.


[1] Vgl. Hattie, 2013, S. 206 ff.

Lehrkräfte brauchen in besonderem Maß IF aufgrund des hohen Freiheitsgrades, der den Lehrberuf kennzeichnet (vgl. Terhart, 2011, S. 202 ff.): In didaktischer, methodischer und pädagogischer Hinsicht steht der Lehrperson eine Vielzahl an Handlungsoptionen zur Verfügung, aus denen sie bei der Unterrichtsvorbereitung und im Verlauf der Stunde ständig auswählen kann – und muss. Denn mit dem hohen Freiheitsgrad im Lehrberuf ist auch ein hohes Maß an Selbststeuerung gefordert. Angesichts der vielen Handlungsalternativen ist es äußerst nahe liegend, das gewählte Handeln unter Einbezug von Fremdwahrnehmungen zu reflektieren und ggf. künftig zu verändern.

Dazu kommt die hohe Komplexität des Unterrichtsgeschehens, die das Einholen der Außerperspektive erforderlich macht.

Viele Faktoren sind neben dem Lehrerhandeln am Lernerfolg beteiligt, darunter äußere Rahmenbedingungen sowie die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler. Diese Größen und ihren jeweiligen Einfluss auf den Lernerfolg möglichst gut einschätzen zu können, ist im Vorfeld von Handlungsentscheidungen wichtig, aber auch rückblickend bei der Analyse von guten oder unbefriedigenden Lernergebnissen.

Zur Auflösung von Mehrdeutigkeiten erscheint eine Außensicht, insbesondere der Lernenden selbst, unverzichtbar – zumal Lehrpersonen dazu neigen, das Geschehen so wahrzunehmen und zu deuten, wie es ihrer vorgeprägten Meinung oder ihren Wunschvorstellungen entspricht.[1]


[1] Zur Wahrnehmungs- und Deutungsverzerrung vgl. Landwehr, 2007, S. 19.