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Datengestützte Schulentwicklung

Im Rahmen der Datengestützte Schulentwicklung im Jahre 2006 (vgl. KMK 2006; 2015) wurden die Konstanzer Beschlüsse der Kultusministerkonferenz (KMK) aus dem Jahr 1997 (vgl. KMK 1997) konkretisiert. Das neue Steuerungsmodell des deutschen Schulwesens sollte von nun an auf Grundlage von evidenzbasierter Qualitätssicherung und -entwicklung erfolgen. Unter einem evidenzbasierten Vorgang verstehen Döring und Bortz (2016) das Berücksichtigen und Nutzen der besten verfügbaren Informationen beim Treffen von Entscheidungen oder Geben von Empfehlungen. Dazu gehören ebenfalls eine systematische Begründung und Integration verschiedener Befunde (Döring & Bortz, 2016).

Bei der evidenzbasierten Qualitätssicherung und -entwicklung stammen die verschiedenen Informationen aus unterschiedlichen Datenquellen u. a. aus internationalen und nationalen Leistungsvergleichsstudien (z. B. PISA, TIMSS), aus Vergleichsarbeiten sowie aus externen Evaluationen durch Schulinspektionsverfahren. Mithilfe einer breiten Datenmenge können anschließend neue Erkenntnisse für die Schulentwicklung abgeleitet werden.

Datengestützte Schulentwicklung zur Steuerung der Qualität hat nicht nur in Deutschland an Bedeutung gewonnen, sondern ebenso im internationalen Vergleich.

Schulentwicklung, welche auf aus wissenschaftlicher Erfahrung gewonnenem Wissen basiert, wird in der Forschung als datengestützte oder empiriegestützte oder evidenzbasierte Schulentwicklung bezeichnet. 

Das EMSE-Netzwerk ist ein unabhängiges, institutionen- und länderübergreifendes Netzwerk zur „empiriegestützten Schulentwicklung“.

Weitere Informationen erhalten Sie unter: EMSE-Netzwerk – Universität Bielefeld (uni-bielefeld.de)

Was ist das Ziel datengestützte Schulentwicklung?

Datenbasierte Schulentwicklung ermöglicht eine genaue Erfassung des Ist-Werts (= momentan gemessener Wert, z. B. Ergebnisse einer Lernstandserhebung) und ein anschließendes Abgleichen mit dem Soll-Wert (= angestrebter Wert eines quantitativen Merkmales eines Systems, z. B. Bildungsstandards). Das bayerische Qualitätstableau „Bayern macht gute Schule“ kann bei der Formulierung eines angestrebten Zielzustandes helfen und dient somit als Grundlage für eine datengestützte Schulentwicklung. Es orientiert sich an zentralen Merkmalen von Schul- und Unterrichtsqualität, welche anhand von verschiedenen Modulen beschrieben werden, beispielsweise Modul A: Lehren und Lernen. Die Module können mithilfe von konkreten Indikatoren erfasst und messbar gemacht werden.

Durch das Aufzeigen von Diskrepanzen zwischen Ist- und Soll-Wert können also Zielerreichungen überprüft werden und anschließend bisherige Ziele und Maßnahmen angepasst sowie neue Ziele und Maßnahmen gesetzt werden. All das wird im Schulentwicklungsprogramm festgehalten, welches die kurz- und mittelfristigen schulischen Entwicklungsziele der Einzelschule zu einem Handlungsprogramm bündelt (vgl. BayEUG, Art. 2). Der Leitfaden „Schulentwicklungsprogramm“ soll den Schulen eine praktische Hilfestellung für die Arbeit am und mit dem Instrument anbieten.

Im Kontext von Schulentwicklungsprozessen spielen Bestandsaufnahmen und Diagnosen eine wichtige Rolle, denn sie liefern Erkenntnisse, auf deren Basis systematisch und zielführend weitergearbeitet werden kann. Entwicklungs- und Erhaltungsziele einer Schule werden in einem ca. fünfjährigen Turnus extern evaluiert (s. Qualitätsagentur am Landesamt für Schule, Gunzenhausen: Externe Evaluation), können jedoch auch jederzeit intern evaluiert werden (Interne Evaluation). Selbsteinschätzungsbögen, welche von der Qualitätsagentur am Landesamt für Schule zur Verfügung gestellt werden, bieten Hilfestellung.

Wesentlich für jede Art der Datenerhebung ist, dass die Daten nicht nur erhoben, sondern genutzt werden. Die gemeinsame Analyse und der Austausch über die Ergebnisse, das Datenfeedback, gehören zu den wichtigsten Arbeitsschritten einer datengestützten Schulentwicklung.

Folgende Fragen gilt es im Kontext einer Datenerhebung u. a. zu berücksichtigen (vgl. Müller, S., 2018, S. 97): 

  • Welches Ziel wird mit der Datenerhebung verfolgt?
  • Welche Themenbereiche sollen einbezogen werden?
  • Welche Art von Daten sollen  gesammelt werden?
  • Welche Methoden sollen hierfür verwendet werden?
  • Welche Personen werden bei der Datenerhebung einbezogen?
  • Wie sollen die erhobenen Daten ausgewertet werden?
  • Wer ist für die Datenerhebung und Auswertung zuständig?
  • In welchem Zeitraum findet die Erhebung statt? (Zeitraum, Anfangs-, Endpunkt)
  • In welchem Zeitraum findet eine Auswertung, Analyse und Diagnose statt?

Bei der Datenerhebung können verschiedene Instrumente herangezogen werden, hier eine kleine Auswahl: 

  • offene (zum Ausfüllen), geschlossene (zum Ankreuzen) Fragebögen
  • SEIS - ein Instrument zur Selbstevaluation in Schulen, Informationen unter: Bertelsmann-Stiftung
  • Checklisten
  • SWOT-Analyse (Strength, Weaknesses, Opportunities, Threads)
  • Zukunftskonferenz (vgl. Burow)
  • SELFIE – Selfreflection on Effective Lerning by Fostering the use of Innovative ET; digitale Schulentwicklung
  • Online-Befragungssystem der Qualitätsagentur am Bayerischen Landesamt für Schule

Welche Daten werden für die Schulentwicklung herangezogen?

Die für die Schulentwicklung erhobenen Daten lassen sich in verschiedene Aspekte einordnen (vgl. Demski et al., 2012; Schulte et al., 2016):  

  • Art der Daten: quantitative Daten (d. h. Zahlen und Graphen als Ergebnis, z. B. Vergleichsarbeiten, PISA) versus qualitative Daten (Worterklärungen mit Interpretationen, z. B. Individualfeedback, Beobachtung, Interview); eine Mischform stellt dabei z. B. eine Umfrage dar
  • Erhebung der Daten: schulintern, schulextern oder übergreifend
  • Aussageebene: Bildungssystem, Schule, Klasse, Einzelfach, Lehrerschaft, Eltern und Erziehungsberechtigte, Schülerin/Schüler etc.

Somit ergibt sich eine große Datenmenge auf verschiedenen Ebenen und die Vorteile der einzelnen Datenerhebungsverfahren können genutzt werden (siehe auch hier).

 

Was sind die Vorteile datengestützter Schulentwicklung?

  • Ermöglichung einer systematischen, anstatt willkürlichen Qualitätsentwicklung;
  • Erfassung des Ist-Werts und Abgleich mit Soll-Wert;
  • Verdeutlichung von Potenzial/Handlungsbedarf einer Schule;
  • Blick auf verschiedene Ebenen (Schulebene, Klassenebene, Ebene der Schülerinnen und Schüler);
  • Nutzung verschiedener Quellen (externe Evaluation, interne Evaluation, Feedback, Unterrichtsbeobachtung, Schülerleistungsstudien etc.) je nach Bedarf;
  • detaillierte Analyse externer und interner Daten;
  • Erfüllung von Gütekriterien der diagnostischen Messinstrumente (Reliabilität, Objektivität, Validität) im Sinne der klassischen Testtheorie;
  • Datenerhebungen als gemeinsame Grundlage für Gespräche und Zielvereinbarungen mit den jeweiligen Schulaufsichten (weitere Informationen: Einführung in die datengestützte Schulentwicklung unter: Onlineportal für die Schulaufsicht

 

Welche Herausforderungen bringt datengestützte Schulentwicklung mit sich?

Datengestützte Schulentwicklung wird häufig mit Kontrolle in Zusammenhang gebracht, sodass Missbrauchsängste auftreten können (Lichtinger & Rigger, 2021). Daher erfordert eine datengestützte Schulentwicklung den Aufbau einer authentischen Evaluationskultur.

Eine flächendeckende Nutzung der erhobenen Daten findet in der Praxis häufig nicht statt (Wurster et al., 2017). Anstatt umfassende Maßnahmen aus den Daten abzuleiten, werden meist nur Einzelmaßnahmen abgeleitet, teilweise ohne exakte Ziele im Vorfeld zu definieren. Hier tritt immer wieder die Einstellung des Besser-nicht-Hinsehens (Lichtinger & Rigger, 2021) zum Vorschein.

Evaluation im Rahmen der datengestützten Schulentwicklung erfordert viel Zeit, Arbeitsaufwand, Teamgeist und auch Konfliktbereitschaft. Sie kann zur Verunsicherung über das eigene Rollenverständnis führen, als Bedrohung erscheinen und die Ergebnisse können mitunter als Kritik an der bisherigen Arbeit empfunden werden (Lichtinger & Rigger, 2021). Daher ist es wesentlich, eine Datenerhebung von Anfang an gut vorzubereiten und v. a. auch die Analyse und anschließende Diagnosearbeit bei der Planung mitzubedenken.

 

Wie lässt sich eine authentische Evaluationskultur aufbauen?

Evaluation, welche der datengestützten Schulentwicklung dient, wird häufig als Herausforderung verstanden. Um von Evaluation profitieren zu können, muss zuerst eine authentische Evaluationskultur aufgebaut werden. Dazu gehören nach Lichtinger und Rigger (2021) folgende Aspekte:

  • Einzelne Personen müssen geschützt und niemand darf an den Pranger gestellt werden.
  • Datenschutz muss gewährleistet werden.
  • Mehrperspektivität erlauben, sich einen „fremden Blick“ von außen einholen und diesen auch zulassen.
  • Grundmuster der Kommunikation ist dialogisch: Zielvereinbarungen werden gemeinsam ausgehandelt und Kriterien und Indikatoren, nach denen evaluiert wird, werden untereinander geklärt.

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Schulleitung, deren Aufgabe es beispielsweise ist, zu verdeutlichen, wozu die Evaluation dient, was und wem sie nutzt. Mehr Informationen lassen sich bei Lichtinger und Rigger (2021) nachschlagen. Weitere Informationen zum Thema „Evaluation“ finden sich in einem eigene Reiter des Schulentwicklungsportals.

Altrichter, H. (2010): Schul- und Unterrichtsentwicklung durch Datenrückmeldung. In K. M. Merki (Hrsg.). Handbuch Neue Steuerung im Schulsystem. VS, Verlag für Sozialwissenschaften. S. 219-254.

 

Demski, D., Rosenbusch, C., van Ackeren, I., Clausen, M. & Schmidt, U. (2012): Steuerung von Schule durch evidenzbasierte Einsicht? Konzeption und erste Befunde des Forschungsverbundes EviS. In S. Hornberg (Hrsg.). Deregulierung im Bildungswesen. Münster, Waxmann. S. 131-150.

 

Deutsche Kinder- und Jugendstiftung (2022). Datengestützte Schulentwicklung. Leit-IDEEN – Impulse für Schulaufsicht und Schulleitung. Abzurufen unter Datengestützte Schulentwicklung. Zuletzt abgerufen am 02.03.2023

Döring, N. & Bortz, J. (2016): Forschungsmethoden und Evaluation. Wiesbaden, Springerverlag.

 

Klopsch, B., & Sliwka, A. (2020): Schulqualität als Resultat einer Verschränkung von Systemebenen. Datengestützte Schulentwicklung in der Provinz Alberta, Kanada. Abzurufen unter Schulqualität als Resultat einer Verschränkung von Systemebenen. Datengestützte Schulentwicklung in der Provinz Alberta, Kanada (pedocs.de), zuletzt geöffnet am 01.03.2023

 

Lichtinger, U. & Rigger, U. (2021): Grundkurs Schulmanagement XXX. Schule wird gelingen mit Flourishing SE. Carl Link Verlag.

 

Müller, S. (2018): Diagnostizieren und Bestandsaufnahme, in: Buhren, C. G. / Rolff, H.-G.: Handbuch Schulentwicklung und Schulentwicklungsberatung, 2. neu ausgestattete Auflage, Weinheim und Basel, Beltz Verlag, S. 90-108.

 

Schulte, K., Fickermann, D., & Lücken, M. (2016). Das Hamburger Prozessmodell datengestützter Schulentwicklung. DDS–Die Deutsche Schule108(2), 176-190.

 

Wurster, S., Richter, D. & Lenski, A. E. (2017): Datenbasierte Unterrichtsentwicklung und ihr Zusammenhang zur Schülerleistung. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 20(4), 628-650.

 


Inhaltliche Aufbereitung des Kapitels in Zusammenarbeit mit Kerstin Schwenkschuster (Praktikantin am

ISB, März 2023).