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Leitbildentwicklung

 

„Man soll die Menschen nicht fragen, was sie sich von der Zukunft erwarten,
sondern wie sie die Zukunft mitgestalten wollen.“ 

                                                                      (Robert Jungk, 1913-1994; österreichischer Wissenschaftspublizist und Zukunftsforscher)

 

„Das sind wir!“ –  mit diesen drei Worten lässt sich die Kernbotschaft eines Leitbildes auf den Punkt bringen. Es zeigt, welches gemeinsame Selbstverständnis die Mitglieder einer Schulgemeinschaft von ihrer Schule aktuell und für die nähere Zukunft haben. 

Dabei ist es zugleich eine Art Leitplanke täglichen Entscheidens und Handelns, „gibt die Richtung vor, aber auch Halt und Sicherheit – manchmal gerade in kritischen (Verkehrs-)Situationen“ (Philipp, E., 2017, S. 6).

Ein Leitbild kurz und treffend zu formulieren, ist jedoch nicht einfach. Wissen, was man nicht will, aber nicht sagen können, was man will – so umschreibt der österreichische Zukunftsforscher Robert Jungk diese bekannte Problematik. Die Ausarbeitung eines Leitbilds ist ein Entwicklungsprozess, der Zeit braucht, und von möglichst allen Mitgliedern einer Schulgemeinschaft geprägt sein sollte. Wichtig ist am Ende dabei nicht das schriftlich ausformulierte Leitbild in einem Zitat, Lied, Plakat oder auf zwei DINA-4-Seiten, sondern das aktive Leben und Erleben eines Leitbildes im Schulalltag.  

Der Leitbildbegriff taucht in den 1980er Jahren zunächst im Wirtschafts- und Verwaltungsbereich auf. Hier war man auf der Suche nach einer Neuausrichtung bzw. Orientierung für Arbeits- und Betriebsstrukturen. In diesem Kontext umschreibt der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Dres. h.  c. Knut Bleicher das Leitbild als eine schriftliche Erklärung einer Organisation über ihr Selbstverständnis und ihre Grundprinzipien, das Zielzustände beschreibt, die ein realistisches Idealbild darstellen (vgl. Bleicher, 1994, S. 274).

Der Soziologe Prof. Dr. Stefan Kühl definiert ein Leitbild zudem als „nach außen und innen verkündete[n] Wertekataloge“ (Kühl, 2017, S.11) einer Organisation. Dabei unterscheidet er zwischen drei Seiten einer Organisation: 

  • Schauseite: Äußere Fassade einer Organisation mit Schaufenstern. Sie zeigen der Öffentlichkeit, wie die Organisation gesehen werden will.
  • Formale Seite: Sie beinhaltet das offizielle Regelwerk, an dem sich die Mitglieder der Organisation orientieren bzw. an das sie auch gebunden sind.
  • Informale Seite: Hierzu zählt das, was in der Praxis tatsächlich Usus ist, d. h. „eingeschliffene[] Praktiken und Denkweisen, aus regelmäßigen Abweichungen von offiziellen Regeln und aus eingepflegten Mythen, Dogmen und Fiktionen“ (Kühl, 2017, S. 13).

Die einzelnen Definitionsbestandteile lassen sich auch auf den schulischen Kontext übertragen. Prof. Mag. Dr. Michael Schratz, Erziehungswissenschaftler und Schulpädagoge fasst die Definition hier ganz knapp zusammen und bezeichnet ein Leitbild als „Identität der Schule“ (Schratz, 2020, S. 210). 

Im Englischen wird der Begriff Leitbild mit „mission statement“ übersetzt. Daraus lässt sich ein wesentlicher Anlass für die Erarbeitung eines Leitbilds ableiten: Ein Leitbild veranlasst die Mitglieder einer Schulgemeinschaft, darüber nachzudenken, welche Bestimmung sie abgesehen von den gesetzten bildungspolitischen Vorgaben für ihre Schule sehen. Es geht bei der Leitbildentwicklung um die Fragen: Wer sind wir? Worin sehen wir unsere Aufgabe?

Weitere Gründe für die gemeinsame Erarbeitung eines Leitbildes können sein:

  • Aufbau eines schuleigenen Profils, z. B. im Kontext der Neugründung einer Schule
  • Suche nach Orientierung, z. B. Prioritätensetzung bei zu großer Vielfalt
  • Abgrenzung zu anderen Schulen, Entwickeln eines individuellen Schulcharakters
  • Neuausrichtung der Schulentwicklung oder Abstimmen des Schulentwicklungsprogramms mit dem Leitbild
  • Schaffen einer Basis für gemeinschaftliches Weiterentwickeln einer Schule im Sinne einer partizipativen Schulentwicklung
  • Verbesserung des Schulklimas, Motivation zur Mitgestaltung einer Schule als wertvollen Ort 
  • Basis für eine werteorientierte Schulentwicklung
  • Beginn eines Diskurses über pädagogische Grundfragen etc.
Für zusätzliche Aspekte siehe: Philipp, E. / Rolff, H.-G. (2004): Schulprogramme und Leitbilder entwickeln, 4. überarbeitete und erweiterte Auflage, Weinheim und Basel, Beltz Verlag, S. 14f.

Ein Leitbild heißt Leit - Bild, weil es „leiten“ soll. Laut Duden verbinden sich damit Begriffe wie „verantwortlich führen“, „begleitend, geleitend [hin]führen, [hin]gelangen lassen“, „hinweisend führen, durch bestimmenden Einfluss lenken“, „in eine bestimmte Bahn bringen“, „Energie hindurchgehen lassen“ oder „weiterführen“.

Auf die Schulentwicklung übertragen kann ein Leitbild damit folgende Bedeutungen haben (vgl. hierzu auch: Zech, 2008) :

  • Es schafft Orientierung für eine Organisation. Die Mitglieder einer Schulgemeinschaft können sich in ihrem Handeln an den Grundgedanken des Leitbildes orientieren, wodurch auch der Zusammenhalt an einer Schule gestärkt werden kann.
  • Es gibt eine Zielausrichtung für das Planen und Handeln der Schulleitung und hilft dieser dabei, Rahmenbedingen für eine Schule zu formulieren.
  • Es verkörpert ein Imagebild einer Schule. Wofür steht die Schule? Welche Werte, pädagogischen Ansätze verfolgt sie? Diese und weitere Fragen sollten bei Leitbildüberlegungen eine Rolle spielen. Hier findet sich die Selbstbeschreibung einer Schule, die aus der Schulgemeinschaft heraus entsteht und von dieser umgesetzt wird. Gleichzeitig ist dieses Image, das sich eine Schule gibt, auch ein Versprechen nach außen, an Eltern und Erziehungsberechtigte, an Schülerinnen und Schüler, die sich für eine Schule entscheiden. Ein Leitbild wirbt für eine Schule und setzt damit auch Maßstäbe, an denen eine Schule von der Öffentlichkeit bewertet wird. Dementsprechend sollte ein Leitbild aktuell bleiben und ca. alle fünf Jahre überdacht werden.
  • Es schafft Identität, ein gelebtes Wir-Gefühl, wenn die Mitglieder der Schulgemeinschaft ihr Leitbild kennen und im Schulalltag umsetzen, es erleben.

Ein Leitbild verkörpert im besten Fall gelebte Schulrealität. Prof. Dr. Olaf-Axel Burow setzt das Vorhandensein eines Leitbildes sogar mit an erste Stelle, wenn es um Kernelemente einer resilienten Schule geht (Burow, 2021, S. 104).

Dabei wirkt sich das Leitbild nicht nur schulintern auf Strukturen aus, sondern auch auf das Miteinander der Mitglieder einer Schule sowie auf die Wahrnehmung durch das Schulumfeld. Diesen Zusammenhang verdeutlicht das folgende Schaubild. 

Schaubild 

„Leitbilder sind keine Visionen einer besseren Welt. Sie sind ein klares Versprechen, aus Chancen Tatsachen zu machen. Das geht durch Verpflichtung und Arbeit.“ (Lotter, W., 2004)

Aus Chancen Tatsachen machen – zu diesem Gedanken passend finden sich folgende Merkmale, die bei der Leitbildarbeit berücksichtigt werden sollten (vgl. Philipp, 2017, S.29). Als Anforderungskriterien werden genannt: 

  • Allgemeingültigkeit – für die spezifische Schule und ihre Situation passend 
  • Wahrhaftigkeit – nicht Schein, sondern Sein
  • Stimmigkeit – inhaltlich abgestimmt, zur Schulentwicklungsarbeit einer Schule passend
  • Langfristigkeit – auf Dauer angelegt, mit Überarbeitung nach drei bis fünf Jahren
  • Anschaulichkeit, Einprägsamkeit – kurz, knapp, einprägsam formuliert und im Schulgelände, der Öffentlichkeitsarbeit der Schule erkennbar 
  • Umsetzbarkeit, Effektivität – im Schulalltag integrierbar, erlebbar, d. h. realisierbar 
  • Kommunizierbar – im Bewusstsein der Mitglieder einer Schulgemeinschaft verankert, in der Öffentlichkeit bekannt
  • Ergänzung: Konsensfähigkeit – von möglichst vielen Mitgliedern der Schulgemeinschaft erarbeitet und akzeptiert

Elmar Philipp fügt seinem Kapitel „Merkmale von Leitbildern“ als Untertitel drei Adjektive hinzu, die Olav-Axel Burow (2021, S. 42) mit seinem Team als Zukunftscode für die katholische Fachhochschule Linz entwickelt hat:

                                              „Wertebasiert – professionsbildend – praxisstark

Bei der Leitbildarbeit sollten sich die Mitwirkenden mit Fragen der Wertebildung auseinandersetzen, ihre Leitsätze sollten sich an der Schulrealität ausrichten und so gewählt werden, dass sie im Schulalltag, in der Realität gelebt werden. 

Ein Leitbild stellt jedoch in keinem Fall einen festgelegten Regelkatalog dar.

  • Es befasst sich inhaltlich auch nicht mit Rahmenbedingungen, wie z. B. der medialen Ausstattung einer Schule oder deren Personalsituation.
  • Es ist nicht ein Spiegelbild aktueller bildungspolitischer Vorgaben oder der Lehrplan einzelner Fächer in verkürzter Form.
  • Es basiert auf den Ideen, Wertevorstellungen der Mitglieder einer Schulgemeinschaft, ist aber nicht die Plattform für individuelle Bedürfnisse einzelner Personen.
  • Ebenso wenig wird in einem Leitbild ein Ziel- und Maßnahmenkatalog samt Projektplanung erarbeitet, denn das sind Aufgabenfelder der Schulentwicklung.

Der Weg zum Leitbild – Ideensammlung

Ein Leitbild entsteht nicht an einem Tag und nicht durch eine Person. Vielmehr ist ein zentrales Anliegen der Leitbildentwicklungsarbeit, diese im Sinne eines partizipativen Prozesses gemeinsam, unter Beteiligung möglichst aller Mitglieder der Schulgemeinschaft zu starten und voranzubringen. Im Folgenden werden Anregungen gegeben, wie man dabei vorgehen könnte.

 

Literaturhinweise:

Belzer, V. (Hrsg.) (1998): Sinn in Organisationen? Oder: Warum haben moderne Organisationen Leitbilder?, München.
Bleicher, K. (1994): Leitbilder, Orientierungsrahmen für eine integrative Managementphilosophie, 2. Auflage, Stuttgart u. a. Zürich, Schäffer-Poeschel u. a.
Burow, O. A. (2021): Die Corona-Chance: Durch sieben Schritte zur "resilienten Schule", 1. Auflage, Weinheim und Basel, Beltz Verlag.
Kühl, St. (2017): Leitbilder erarbeiten. Eine kurze organisationstheoretisch informierte Handreichung, Wiesbaden, Springer VS, eBook.
Lotter, W. (2004): Vom Mond und zurück. In: brand eins (Wirtschaftsmagazin), Heft 6, zuletzt aufgerufen am 29.11.22 unter: https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2004/leitbilder 
Philipp, E. (2017): Leitbildentwicklung auf den Punkt gebracht, 1. Auflage, Schwalbach/Ts. Wochenschau Verlag (ebook). 
Philipp, E./Rolff, H.-G. (2004): Schulprogramme und Leitbilder entwickeln, 4. überarbeitete und erweiterte Auflage, Weinheim und Basel, Beltz Verlag.
Schratz, M. (2020): Leitbild und Schulprogramm: ein Überblick über Standards und Prozesse. In: Huber, St. G. (Hrsg.): Handbuch für Steuergruppen. Grundlagen für die Schulentwicklung und das Schulmanagement, 4. überarbeitete und erweiterte Auflage, Köln, Carl Link Verlag, S. 210-243.
Zech, R. (2008): Leitbildentwicklung in Schulen. In: Bartz, A. u. a.: PraxisWissen SchulLeitung 2570.14, Basiswissen und Arbeitshilfen zu zentralen Handlungsfeldern der Schulleitung, Köln, WoltersKluwer, S. 1-9.