Das Konzept der De-Implementierung

Gedanke 1: „Was kann der Vorteil sein, wenn wir das Gelingende in den Fokus rücken und von da aus Entwicklung gestalten?“ (zitiert nach Prof. U. Lichtinger, 2024)
Gedanke 2: „Warum versuchen wir nicht etwas Bewährtes aufrechtzuerhalten oder eine Herausforderung/ein Problem zu lösen, indem wir etwas anderes entfernen? (Gedanke nach J. Hattie, 2024)
Denken mit der Kopfstandmethode: Warum versuchen wir nicht eine Herausforderung/ein Problem so zu lösen bzw. anzugehen, indem wir einfach mal etwas anderes Belastendes entfernen? Diese Gedanken verfolgen Dr. Bernhard Wisniewski und Dr. Barbara Gottschling. Beide setzen sich dabei intensiv mit Hatties Publikation “Making Room for Impact. A De-Implementation Guide for Educators” auseinander. Die Forschung spricht von der Entfernung von „Low value practice“ (Dunsmore et. Al. 2023).
De-Implementierung als Möglichkeit für Schulen in herausfordernden Situationen
Es wird notwendig, Strategien zu entwickeln, um die Qualität des Bildungssystems mit weniger Ressourcen aufrechtzuerhalten oder zu steigern. Empirische Ergebnisse zeigen auf, welche schulischen Praktiken effektiv sind. De-Implementierung bezieht sich auf die Nutzung dieser Informationen, um ineffektive Praktiken abzubauen und somit den effektiven Platz zu machen.
Der verantwortungsvolle Umgang mit den dadurch freigewordenen Ressourcen bildet ein Kernstück des Ansatzes. Durch diese Maßnahmen soll langfristig eine Qualitätssteigerung in Schule und Unterricht erreicht werden. Zu betonen ist, dass Verbesserungen auch mit einem geringeren Ressourceneinsatz möglich sind. Die Herausforderung besteht darin, die richtigen Praktiken zu identifizieren und zu fördern.
Das Konzept adressiert drei der Herausforderungen, vor denen Schulen aktuell stehen:
• Entbürokratisierung
• Förderung der Lehrkräftegesundheit
• Förderung der psychischen Gesundheit von Schülerinnen und Schülern
Schule besser zu machen, wird meistens damit verbunden, neue Aufgaben, Prozesse, Maßnahmen, Programme, Initiativen, Methoden etc. hinzuzufügen.
De-Implementierung bedeutet die Umkehr dieser Logik. Schule kann besser werden, indem sie auf ein „Weniger“ statt auf ein „Mehr“ setzt.
Die zentralen Ziele der De-Implementierung im System Schule sind:
- Das Zurückgeben von Zeit an Lehrerinnen und Lehrern, die sie nutzen können, um sich auf effektives Unterrichten und die Unterstützung ihrer Schülerinnen und Schüler zu konzentrieren.
- Die Entfernung von Programmen und Initiativen, die geringe, keine oder unerwünschte Effekte haben.
- Die Verringerung benötigter materieller, zeitlicher und personeller Ressourcen und die Reallokation von Ressourcen hin zu nützlichen Tätigkeiten.
- Sie ist subtraktiv: De-Implementierung zielt darauf ab, Prozesse, Maßnahmen oder Praktiken gezielt zu reduzieren oder ganz zu entfernen, die nicht (mehr) effektiv, notwendig oder sinnvoll sind
- Sie ist evidenzbasiert: Entscheidungen zur De-Implementierung werden nicht intuitiv oder willkürlich getroffen, sondern beruhen auf evidenzbasierten Analysen. Dabei werden fundierte Daten und klare Kriterien herangezogen, um sicherzustellen, dass nur Maßnahmen mit nachweislich geringem Nutzen oder negativen Auswirkungen abgebaut werden. Siehe hierzu: Datengestützte Schulentwicklung
- Sie wird kontinuierlich evaluiert: Der Prozess der De-Implementierung ist dynamisch und wird regelmäßig überprüft. Durch kontinuierliches Monitoring und Evaluation wird sichergestellt, dass die Maßnahmen den gewünschten Effekt erzielen, nachhaltig bleiben und an neue Erkenntnisse oder veränderte Rahmenbedingungen angepasst werden können.
- Übersehen subtraktiver Lösungsmöglichkeiten („Ja, aber, wir müssen doch korrigieren, weil wir es schon immer getan haben.“) – dies sind vermeintlich unveränderbare Strukturen, die z. B. mit aktuellen Forschungsergebnissen nicht begründet werden können. Vgl. John Truscott (2007): The effect of error correction on learners’ ability to write accurately. Abrufbar unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1060374307000355
- Beharren auf Denkmustern, Überzeugungen, Glaubenssätzen
Sunk Cost Fallacy (Fehlschluss der versunkenen Kosten): Menschen investieren weiter in Nicht-Sinnvolles, weil schon viel investiert wurde.
(Beispiel: Kino-Ticket - Du hast für einen schlechten Film bezahlt, bleibst aber bis zum Ende sitzen, weil du das Geld nicht „verschwenden“ willst – obwohl du die Zeit besser nutzen könntest.)
Verlustaversion: Verluste werden stärker wahrgenommen als Gewinne. Aufgeben löst aversive Emotionen aus und überlagert oft die rationale Zugewinnseite. -
Anreize und Konsequenzen, die das Schulsystem bietet:
Erfolge werden an quantitativen Faktoren gemessen, z. B. an Zeitaufwand („Eine Lehrkraft, die viel arbeitet, ist eine gute Lehrkraft“). Es sollte aber nicht der Zeitaufwand der Maßstab sein, sondern die Qualität/Wirksamkeit dessen, was gemacht wird. VIEL im Sinne von tiefgreifend, nicht VIEL im Sinne von vielen Maßnahmen.Literaturhinweis:
Wisniewski, B./Gottschling, B. (2024): B E S S E R W E N I G E R – W E N I G E R B E S S E R. De-Implementierung als Antwort auf bildungspolitische
Herausforderungen. Abrufbar unter: file:///C:/Users/di38yim/Downloads/De-Implementierung-Grundlagen-2.pdf
Wiesniewski/Gottschling geben in ihrem Erklärvideo zur De-Implementierung Hinweise, welche Fragestellungen hilfreich sein können:
Erstellen Sie Fragen zur Überprüfung, welche Maßnahmen nicht mehr effektiv sind und de-implementiert werden können.
Jede vorhandene oder neue Maßnahme wird anhand folgender Fragen abgeklopft:
1.Wie ist die Notwendigkeit von Maßnahmen begründet?
2.Wie ist die wissenschaftliche Erkenntnis dahinter?
3.Welche lokalen Erfahrungen liegen ihnen zugrunde?
4.Mit welchen Theorien oder Modellen können sie unterfüttert werden?
5.Wo wurden sie nachweisbar erfolgreich durchgeführt?
6.Warum kann man davon ausgehen, dass die Maßnahmen erfolgreich sein werden?
7.Beruhen die Aussagen auf substantiierten Aussagen oder auf Phrasen?
Können diese Fragen nicht befriedigend beantwortet werden, kommt die Maßnahme zur Disposition.
Podcast: De-Implementierung. Gespräch mit John Hattie. Quelle: mundo, Psychologie fürs Klassenzimmer
Abrufbar unter: https://www.mundo.schule/details/SODIX-0001113756
Literaturhinweise:
Dunsmore, J. et al (2023): Effectiveness of de-implementation strategies for low-value prescribing in secondary care: a systematic review. Abrufbar unter: https://implementationsciencecomms.biomedcentral.com/articles/10.1186/s43058-023-00498-0
Hattie, J. (2023): Making room for impact. De-Implementation Guide for Educators. Corwin-Verlag.
Truscott, J. (2007): The effect of error correction on learners’ ability to write accurately. Abrufbar unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S1060374307000355
Wisniewski, B./Gottschling, B. (2025): Weniger macht Schule: Wie De-Implementierung schulische Freiräume schafft. Kohlhammer GmbH.
Wisniewski, B./Gotschling, B. (2024): Besser weniger - weniger besser. De-Implementierung als Antwort auf bildungspolitische Herausforderungen. Abrufbar unter: file:///C:/Users/di46yos/Downloads/De-Implementierung-Grundlagen-2.pdf (Staatliche Schulberatung).